Braunkohle

Wir haben bereits einige Exkursionen „in die Braunkohle“ durchgeführt oder Anreize für solche (und andere) Energiefahrten gesetzt. Jede Gruppe brachte eigene atemberaubende und unvergessliche Eindrücke mit nach Hause.

Derzeit organisieren wir keine eigenen Fahrten, sondern helfen bestehenden Gruppen mit Kontakten oder Ideen. Wenn Sie dazu Fragen haben können Sie uns gerne per E-Mail kontaktieren.

Bericht von der Exkursion 2006:

Münchner in die Braunkohle

04. November 2006
Wir stehen an einer Klippe 120 Meter tief. In einiger Entfernung sehen wir riesige Maschinen, die beständig und unter leisem Quietschen Erde abbaggern. Hier im persönlichen Kontakt können wir die Größe einschätzen. Auf dem Foto, das wissen wir bereits, sehen die Geräte klein aus, wie Spielzeug. Kein menschliches Gehirn kann und will sich so etwas vorstellen. Wir stehen lange dort, bis es dunkel wird und lassen so unseren Tag ausklingen. Wir sprechen über das Gelernte, um alles zu verarbeiten, lachen und weinen. Es ist nicht schön dort aber alle finden gut, dass sie einmal gesehen haben, woher unser Strom kommt. Derzeit beinhaltet unser deutschlandweiter Mix 27,1% Braunkohleverstromung und daran wird sich so schnell nichts ändern, wenn nicht die Verbraucher handeln.

 
Das Kraftwerk Jänschwalde und die umliegenden Tagebaue beeinflussen unsere Kulturlandschaft nachhaltig.

September 2005
Angefangen hat alles in der Lausitz, in Lacoma, wo Menschen sich gegen das Abbaggern wehren – Menschen mit Träumen, Visionen und einer guten Portion Heimatliebe und Mut.
Diese Menschen wollten wir unterstützen in ihrem Kampf gegen die Braunkohle. Einen Feind, den wir nicht kannten, nur von Fotos. Aber Fotos können das nicht auffangen, was wir bald sehen und erleben sollten. Wir, das heißt projekt21plus, eine kleine Agentur, die sich für Erneuerbare Energien und Ökostromwechsel einsetzt.
Im September habe ich mit René Schuster telefoniert, der eine zentrale treibende Kraft des Lacoma e.V. ist. Wir sprachen davon, was man machen könnte. Wir sprachen, dachten und planten, dabei wusste ich noch gar nichts. Schließlich besuchten wir Cottbus und sprachen persönlich mit ihnen. Daniel Häfner kam als begeisterter Planer dazu. So entstand langsam eine Kampagne. Wir haben sie auch durchgeführt, gemeinsam, die Lacos und die Münchner; sie dort Zuhause, wir als Gäste. Zwei Welten sind dort aufeinander getroffen, aber es ergab sich eine tolle Mischung voller Energie, die bis heute Bestand hat.
Wir wollten die Erneuerbaren Energien fördern und Kohlebergbau stoppen. Wir stießen an Grenzen und wurden desillusioniert, wir überarbeiteten uns vollkommen, aber wir erlebten viel, sahen viel, lernten viel.
Und viel von dem, was wir gelernt haben, wollen wir weitergeben. Wir erzählten Freunden davon und organisierten eine Tour, für die Lausitz in die Lausitz.

03. November 2006
Am 03. November brechen wir von München auf, um in die Braunkohle zu fahren. Freitagnacht kommen wir in unserer Herberge an. Am Rande des Spreewaldes gelegen ist sie ein Ort der Idylle inmitten grüner Wiesen und Bäume, zwischen grasenden Kühen, neben sprudelnden Bächen.

Am nächsten Morgen holt uns Ralf Röhr vom Lacoma e.V. ab. Er hat ein dichtes Programm mit hervorragenden Führern organisiert. Renaturierung und Tagebau stehen auf dem Programm. Mit dabei sind Herr Dr. Martin Gast, Leiter der Abteilung Gewässersanierung und Naturschutz im Forschungsinstitut für Bergbaufolgelandschaften e.V. und Herr Stefan Röhrscheid vom NABU, Leiter des Projektes „Naturparadies Grünhaus“ bei Finsterwalde. Der NABU hat das Gebiet im ehemaligen Tagebau Lauchhammer gekauft, damit die Natur eigenständig wieder wurzeln fassen darf. Renaturierung statt Rekultivierung ist im „Grünhaus“ das Motto. Das bedeutet, dass hier nicht nachträglich Bodenschichten aufgelegt werden oder Kulturpflanzen gezielt ausgesät werden. Hier darf die Natur wachsen, wie sie möchte, und das Gebiet langsam wieder zurück erobern. Natürlich werden die Prozesse beobachtet und wir können dank diesem NABU-Projekt viel lernen, was wir mit unseren Kippen und Kohlegruben in Zukunft machen können.

Von der Geschäftsstelle in Lichterfelde fahren wir los und passieren größere Ebenen mit spärlichem Baumbewuchs (auch hier war vor Jahrzehnten Tagebau). Schließlich kommen wir an einen Übersichtsplan mit einem hervorragenden Aussichtspunkt, von dem aus wir einige der vielen Restlöcher gut überblicken können.

Im Grünhaus beobachtet der NABU genau, auf welchem Boden sich die Natur wie entwickelt.

Auf der Karte von Herrn Röhrscheid sind es schon keine Restlöcher mehr, sondern Seen mit schönen Namen. Heidesee heißt einer, Grünhauser See ein anderer. In Wirklichkeit sehen die Tagebaureste noch nicht wie Seen aus, sondern eher wie Vertiefungen mit ein bisschen Wasser. Aber sie würden sich noch mit Wasser füllen, versichert uns Herr Röhrscheid. Das passiert ganz von alleine, indem der Grundwasserspiegel steigt, und obwohl das Grundwasser vorher über Jahrzehnte beständig abgepumpt wurde. Vor jedem Tagebau muss Wasser gehoben werden. Der Grundwasserspiegel sinkt dadurch unter das Niveau der Kohle, damit diese überhaupt gefördert werden kann. Normalerweise vollzieht sich die Grundwassersenkung flächendeckend über hunderte von Kilometern. Nur manchmal, wenn ein wichtiger Fluss in der Nähe ist, wie im Moment beim Tagebau Cottbus Nord, werden tiefe Mauern gezogen, damit nicht auch das wichtige Fliessgewässer abgesaugt wird.


Auf dem Weg nach oben kommt das Grundwasser bereits mit übersäuertem Boden in Kontakt und muss in eine Wasseraufbereitungsanlage
Der LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH) schätzt, dass durch die langjährige Wasserhebung (die eigentlich eine Grundwassersenkung zur Folge hat; Anm. der Verfasserin) ein Gebiet von 192 km2 beeinflusst wurde. Umweltschützer sprechen von größeren Flächen. Das Grundwasserdefizit für dieses eine Gebiet beträgt nach Angaben des LMBV 855.000.000 m3. Insgesamt sind diese Mengen für uns unvorstellbar.

Auf einer kurzen Wanderung durch das „Grünhaus“ lernen wir, was quartäre und was tertiäre Bodenschichten sind. Hier treffen wir beide nebeneinander an, was eigentlich eine höchst unnatürliche Erscheinung ist, weil die tertiären Bodenschichten tief unter die Erde gehören. Hier wurden sie gefördert und verkippt oder kurz gesagt bewegt, damit der Bergbau der Braunkohle habhaft werden kann. Bei Kontakt von Sauerstoff und tertiären Bodenschichten führen chemische Reaktionen zu einer extremen Übersäuerung der Erde.
Auf den älteren, sauren, tertiären und dadurch unwirtlichen Bodenschichten siedeln sich auf lange Sicht keine Pflanzen an. Selbst Steine zersetzen sich. Irgendwann in ferner Zukunft werden diese Böden wieder fruchtbar, allerdings dreht es sich dabei um geologische Zeiträume, nicht um menschliche. Die Natur macht das Beste daraus. Im Grünhaus werden diese umgelagerten Bodenschichten ein Zuhause für Insekten und Vögel, die eigentlich in wüstenähnlichen Gebieten beheimatet sind. Der seltene Brachpieper gehört dazu.

Auf den älteren, sauren, tertiären und dadurch unwirtlichen Bodenschichten siedeln sich auf lange Sicht keine Pflanzen an. Selbst Steine zersetzen sich. Irgendwann in ferner Zukunft werden diese Böden wieder fruchtbar, allerdings dreht es sich dabei um geologische Zeiträume, nicht um menschliche.

Dort wo quartärer Boden die Deckschicht bildet, haben nach etwa 15 Jahren Gräser und Bäume Fuß gefasst. Allerdings ist der Pflanzenbewuchs zwar vorhanden, jedoch noch lange nicht so dicht, wie es sich für diese Gegend ziemt.
Der Endpunkt unserer Wanderung ist eine Grube, in dem schon Wasser steht und Pflanzenbewuchs beginnt. Fische werden dort jedoch nicht so schnell Flosse fassen, weil die vorliegende Flüssigkeit noch einen starken Säuregehalt hat. Auch dies liegt an der bewegten tertiären Bodenschicht, die in den umliegenden Gebieten an der Oberfläche oder auch etwas tiefer liegt. Die neu verschüttete, chemisch veränderte tertiäre Bodenschicht wird so zum regelrechten Säurespender für jegliches Wasser, das hindurch läuft. Für die Restlöcher bedeutet das, dass sie auf längere Sicht keine größeren Lebewesen beherbergen können. „Fische,“ so Martin Gast, „lösen sich auf.“ Das sei beispielhaft schon häufig passiert.

Der 30 Meter hohe Berg im Vordergrund besteht aus tertiären Bodenschichten. Er bleibt noch für Jahrhunderte ein Säurespender für die umliegenden Seen.

Mit vielen Informationen angefüllt fahren wir unserem nächsten Ziel entgegen. Jetzt geht es zur Sache: Wir besuchen einen aktiven Tagebau.
Wir durchqueren ruhige, beinahe menschenleere Orte, fahren durch Wälder und erreichen wieder einen Parkplatz neben einem schönen großen Gebäude mit Namen Gut Geisendorf. Die ehemalige Ortschaft war bereits geräumt und vom Tagebau in Anspruch genommen. Das von Vattenfall als Museum belassene Gutshaus ist umringt von Bäumen. Einen Spielplatz und hübsch drapierte Findlinge gibt es hier. Aber wir haben keine Zeit und gehen weiter durch einen schönen dichten Wald.

Nach 200 Metern öffnet sich ein Einschnitt einen Hügel hinauf. Der Wald ist abgeholzt, der sandige Boden durchwühlt. Wir nutzten die Schneise als sehr breiten Fusßweg mit den Ausmaßen einer Autobahn. Das macht uns zwar traurig, aber solche Größenordnungen sind wir Münchner auch gewohnt.

Oben auf dem Hügel angekommen bietet sich uns ein anderes Bild. Kilometerweit sind die Bäume abgeholzt, in weiter Ferne können wir noch den ursprünglichen Wald erkennen.

Über weite Strecken zieht sich die Tagebauvorbereitung. In weiter Ferne erahnen wir den ursprünglichen Wald.

Unmerklich langsam, aber beständig baggernd, bewegt sich ein Schaufelrad auf uns zu. Neben uns Pumpen, die kostbares Grundwasser in riesigen Mengen aus dem Boden holen. Auf dem Weg nach oben kommt das Grundwasser bereits mit übersäuertem Boden in Kontakt und muss in eine Wasseraufbereitungsanlage, bevor es wieder benutzt werden kann. Kurz gesagt machen wir hier die Bekanntschaft mit einer Bergbauvorbereitungsfläche für den Bergbau Welzow Süd. Diesem Bergbau fielen bereits die Orte Haidemühl, Straußdorf, Gosda, Jessen, Kausche, Stradow und Wolkenberg zum Opfer. Sie wurden nacheinander devastiert. Was das bedeutet wird uns hier klar.

Bedeutend ruhiger steigen wir wieder in unsere Autos, fahren weiter und stehen kurze Zeit später vor dem eigentlichen Tagebau. Was wir hier sehen, kann man weder beschreiben noch Photografieren. Martialisch ist ein Wort, das annähernd den Zustand greift.

Dies war unser letzter Programmpunkt. Wir lassen uns viel Zeit, um mit den Bildern und unseren Gefühlen zurecht zu kommen.
Wir haben den Menschen keinen positiven Ausflugstag geboten, aber alle sind dankbar und werden die Exkursion weiterempfehlen und den Menschen erzählen, woher ihr Strom kommt. Nächstes Jahr fahren wir wieder und packen gerne jeden ein, der mitkommen möchte.

120 Meter tief ist der Bergbau Welzow Süd. Technisch gesehen ein Wunderwerk. Für unseren Lebensraum ein Desaster.
Langsam dunkelt es am Tagebau, aber die Gruppe kann sich nicht lösen.

*Rot gemarkte Wörter sind aus dem Bergbaujargon entnommen

Zu besonderem Dank sind wir dem Lacoma e.V. verpflichtet, den sie immer noch im Kampf gegen das Abbaggern unterstützen können.
Aktuelle Informationen zum Braunkohletagebau in der Lausitz finden Sie unter:
www.lausitzer-braunkohle.de.